Innerhalb von kurzer Zeit hat Google nun anscheinend zum zweiten Mal unangekündigt ein Update ausgerollt, das den Kern des Ranking-Algorithmus zu betreffen scheint. Dabei sind nach unserer Blitzanalyse in erster Linie aktuelle Trending-Keywords sowie die Erfüllung kurzfristig entstandener Suchintentionen bei informationsorientierten (Shorthead-)Keywords betroffen. Die eindeutigen Gewinner sind Medien-Websites, denn einer der wichtigsten Elemente für die Änderung ist: Aktualität. Entsprechend habe ich mich dafür entschieden, dem Update den Arbeitstitel “Newswave” zu geben: Google surft die (Trend-)Welle! Sollte diese Entwicklung von Dauer sein, wird die Volatilität der Suchergebnisse künftig stark ansteigen.
Volatilität ist hier das Stichwort – und zwar im wahrsten Sinne! Dieser Artikel basiert auf frischen Daten von heute morgen. Doch schon während ich diese Zeilen geschrieben habe, haben sich die Rankings schon wieder verändert. Google scheint die SERPs ständig mit neuem, aktuellem Content zu spülen. Für mich hat das etwas von “wild gewordenem QDF” – also das seit 2007 im Algorithmus berücksichtigte Konzept, Aktualität in den Suchergebnissen zu berücksichtigen. Organische Rankings, die aussehen wie eine große News-Integration, können jedenfalls nicht im Sinne des Erfinders sein.
Rückblick: Was ist passiert?
Am 17. Juni 2015 registrierten viele Webmaster und Online-Marketer starke Veränderungen der Rankings. Ähnlich wie beim Google Phantom Update, das Ende April / Anfang Mai 2015 ausgerollt wurde, hat Google keine näheren Angaben zum Update gemacht. Eine offizielle Bestätigung des Updates gibt es (noch) nicht, lediglich Äußerungen von einzelnen Google-Mitarbeitern. Daraus lässt sich ableiten, was das Update NICHT war:
- Kein Panda oder Penguin: Dies betonte John Mueller von Google Schweiz in einem Webmaster Tool Central-Hangout. Zwar habe es eine Entwicklung gegeben, jedoch sei es keine Algorithmus-Änderung gewesen, die mit Panda oder Penguin zu tun hat. Hintergrund dieser Spekulation um ein mögliches Panda-Update war die Ankündigung von Google, dass eine neue Panda-Iteration in den “nächsten paar Wochen” ausgerollt werde.
- Keine HTTPS-Verschlüsselung: Dr. Pete von Moz vermutete einen Zusammenhang mt HTTPS – und auch mit Wikipedia. Doch Gary Illyes von Google betonte in einem Statement via Twitter, dass es ebenfalls nicht mit einer HTTPS-Verschlüsselung zusammenhänge. Hintergrund dieser Annahme war der Switch von Wikipedia vor einigen Tagen hin zu einer verschlüsselten Seite. Einen Zusammenhang mit Wikipedia scheint es tatsächlich zu geben, wenn auch anderer Art, wie ich gleich zeigen werde.
Gewinner des Updates
Die eindeutigen Gewinner des Updates, nämlich rund zwei Drittel der Top100-Gewinner in dieser Woche, sind Domains aus dem Bereich Zeitungen, Nachrichten, Magazine und im weitesten Sinne Medien. Die aktuellen Listen sind bereits in die Software eingespielt und können zu großen Teilen auch ohne Login direkt eingesehen werden:
Gewinner / Verlierer DE – Searchmetrics Suite
Ich verzichte an dieser Stelle deshalb auf eine vollständige Liste, aber einen kleinen Ausschnitt auf die Top-Gewinner, die nach absolutem Gewinn an SEO Visibility geordnet sind, sagt eigentlich alles:
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Domain | SEO Visibility | Gewinn | Gewinn % |
welt.de | 751.782 | 83.693 | 13% |
zeit.de | 603.115 | 58.762 | 11% |
stern.de | 643.573 | 58.509 | 10% |
faz.net | 437.157 | 51.178 | 13% |
n-tv.de | 357.099 | 49.257 | 16% |
golem.de | 343.031 | 45.135 | 15% |
handelsblatt.com | 429.908 | 41.808 | 11% |
tagesspiegel.de | 241.534 | 27.331 | 13% |
sixx.de | 98.224 | 22.272 | 29% |
ndr.de | 176.888 | 22.233 | 14% |
theguardian.com | 149.202 | 21.532 | 17% |
urbandictionary.com | 143.118 | 21.303 | 17% |
tagesschau.de | 190.154 | 20.036 | 12% |
manager-magazin.de | 86.178 | 19.864 | 30% |
zdnet.de | 70.122 | 17.446 | 33% |
rp-online.de | 178.666 | 16.917 | 10% |
dailymail.co.uk | 104.775 | 14.622 | 16% |
derwesten.de | 147.098 | 14.502 | 11% |
abendblatt.de | 113.598 | 14.126 | 14% |
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Nahezu ausschließlich handelt es sich hier um breit bekannte Medienportale und Nachrichtenseiten, die täglich Artikel mit stark aktuellem Bezug veröffentlichen. Die Rankings für Gewinner-Keywords dieser Seiten sind meistens direkt aus dem Nichts an die Spitze der Suchergebnisse geschossen.
“Loser” nicht relevant strukturierbar
Die Besonderheit dieses Updates: Auf eine dedizierte Verlierer-Analyse kann man eigentlich verzichten. Zum Großteil ist die Ursache des Verlusts anderer Seiten der Gewinn der Medienportale.
Das ist das “Google Newswave-Update”
Von den Änderungen sind viele informationsorientierte, aktuelle Trend-Keywords betroffen. Vor allem bei Shorthead-Keywords versucht Google, durch das Update noch besser auf die vermutete aktuelle Suchintention der Nutzer einzugehen.
Da Nachrichten-Websites im Regelfall – neben Wikipedia – eine der wichtigsten Info-Quellen für Google-Suchpositionen darstellen, konnten sie vom Google Update enorm profitieren.
QDF auf Abwegen?
Seit 2007, wird QDF – “Query Deserve Freshness” von Google berücksichtigt. Dahinter steht das Konzept, das sich unter anderem mit folgenden Einflüssen beschäftigt:
- (signifikanter Anstieg von) Suchvolumen
- (Anstieg bestimmter) Mentions eines Themas in Newssites und/oder Blogs
Diese Update scheint die Gedanken hinter QDF etwas zu weit getrieben zu haben. Es kann nicht die Intention von QDF sein, komplette organische SERPs in News-Integrationen zu verwandeln. Google ist ja schließlich nicht Twitter (um es auf die Spitze zu treiben).
Zusammenhang mit Google Trends & Twitter?
Gleichzeitig zum Bekanntwerden der SERP-Bewegungen am 17. Juni gab es übrigens ein Rework von Google Trends. Die Such-Trends sind dort ab sofort Real-Time verfolgbar; bisher waren die Datenbestände mehrere Tage verzögert. Es sei „die größte Erweiterung von Google Trends seit 2012“, so der offizielle Google-Blog. Ebenfalls (wieder) neu im Google-Portfolio ist die Kooperation mit Twitter. Seit Februar 2015 hat Google wieder Zugriff auf den Tweet-Stream bei Twitter.
Aktualität dürfte entsprechend einer der wichtigsten Faktoren für das Newswave-Update sein. Auf Veränderungen im Suchvolumen oder aktuelle Twitter-Trends kann Google entsprechend schnell reagieren. Dies möchte ich an einem Beispiel demonstrieren.
It’s the intention, stupid: Das Keyword-Beispiel: „Charleston“
Die Suchintention vom Keyword „Charleston“ lässt sich am besten über die „Similar Keywords“ in der Searchmetrics Suite analysieren. Wer dieses Keyword eingibt, erwartet offenbar zumeist Informationen über den Tanzstil, der in den 1920er-Jahren in den USA entstand, und die dazugehörige Mode.
Nach dem Attentat vom 17. Juni 2015 mit neun Toten in Charleston veränderte sich offenbar die Suchintention hinter dem Keyword „Charleston“. Jetzt standen Informationen über den Anschlag im Vordergrund. Die Suchergebnisseite zum Keyword „Charleston“ vom Freitag, 19. Juni 2015, trägt diesem Umstand Rechnung – und präsentiert fast ausschließlich URLs von Nachrichtenseiten, die aktuelle Informationen zum Attentat bieten.
Von den acht Positionen, die auf der ersten Suchergebnisseite zum Keyword „Charleston“ zu finden sind, beschäftigen sich die ersten sieben mit dem Attentat. Dazu gibt es noch die Universal-Search-Integration eines News-Blocks. Erst auf Position 8 findet sich Wikipedia – und auch nicht mit dem Eintrag zum Tanz oder dem Kleidungsstück, sondern zur entsprechenden Stadt in South Carolina.
Konkrete Auswirkungen und Kritikansätze
Google dürfte sich beim semantischen Versuch, die Suchintention zu erkennen, an Mehrheiten orientieren. Dies kann zum Problem für webbasierte Business-Modelle werden. Die Frage ist: Was ist mit den Usern, die sich für die eigentliche Bedeutung des Suchbegriffs interessieren, die ja nun von der aktuellen Suchintention überlagert wird? Für den Begriff “Charleston” sind das in der Spitze circa 11.000 User pro Monat (siehe Screenshot oben), denen nun ein anderes als das eigentlich erwartete Ergebnis ausgespielt wird. Ist Google hier nicht über das Ziel hinausgeschossen?
Eine Tanzschule, die sich etwa auf Charleston-Angebote spezialisiert hat, oder ein Online-Shop, der Charleston-Mode anbietet, muss in diesen Tagen mit enormen Traffic-Einbußen rechnen. Erst, wenn die Nachrichtenlage sich rund um das Attentat gelegt hat, könnte die Tanzschule wieder damit rechnen, an die „alte“ Position in den Suchergebnissen zurückzukehren.
Charleston bei Google Trends
Wie bereits angesprochen, dürfte das Update im Zusammenhang mit den Neuerungen bei Google Trends stehen. Dort rangierte „Charleston“ am Freitagnachmittag auf Platz 18 der Themen mit den meisten Suchanfragen in Deutschland:
Die Rolle von Wikipedia und/oder HTTPS
Wie bereits angesprochen vermuteten einige, das Update habe mit HTTPS und auch mit Wikipedia, die momentan auf sichere Verbindung umstellen, zu tun. Das lässt sich aus unseren Daten so zunächst nicht nachvollziehen. Dennoch scheint Wikipedia betroffen zu sein, auch wenn die Auswirkungen primär in den US-Ergebnissen sichtbar sind.
Im google.com-Index hat wikipedia.org nämlich zur Vorwoche ca. 3% SEO Visibility verloren. Klingt nicht viel, ist aber bei der enormen Sichtbarkeit der Seite eine Menge. Erklärung: Auch die Wikipedia-Site, die ja für viele informationale Keywords prinzipiell auf 1 oder 2 rankt, ist durch den Ansturm der News-Seiten etwas nach unten gespült worden. In den deutschen Ergebnissen zeichnet sich dies (noch?) nicht ab.
Weitere Beispiele für die Newswave
Für viele weitere, allgemeine (Shorthead)-Keywords gilt: News-Beiträge reichern verstärkt die Suchergebnisse an. Dabei können es aktuelle News sein – wie das Keyword „Amazon“ zeigt: In den Top10-Rankings finden sich drei aktuelle Artikel von News-Webseiten, die in der vergangenen Woche noch nicht für dieses Keyword gerankt haben:
Das Beispiel „Zähne“ zeigt, dass es nicht immer um Aktualität geht. Doch vier der Top10-Rankingpositionen sind mit URLs von Nachrichten-Websites belegt – ebenfalls war dies in der Vorwoche nicht so.
Teilweise ranken in den neuen, volatilen Suchergebnisse allerdings auch URLs von Medien-Websites, deren Content entweder a) alt oder b) dünn ist (etwa bei Tag-Seiten). Deshalb ist unsere Analyse des Newswave-Updates auch provisorisch – vorstellbar ist etwa, dass Google am Algorithmus und den entsprechenden Suchergebnissen noch weiter schraubt, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen.
Newswave-Fazit: Intention, Aktualität und Volatilität
Das Google Newswave-Update vom 17. Juni 2015 betrifft informationsorientierte Shorthead-Keywords, die aufgrund einer aktuellen Überlagerung der Suchintention mit Medien-Resultaten nahezu “geflutet” werden. Weil News-Seiten – neben Wikipedia – für die Google-SERPs die wichtigste Quelle für aktuelle Infos bieten, konnten sie durch das Update enorm an Visibility zulegen.
Einer der wichtigsten Faktoren bei der Bewertung der Suchintention ist Aktualität (siehe QDF). Der zeitgleiche Relaunch von Google Trends dürfte auch in den Ranking-Algorithmus eingeflossen sein. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wenn diese temporäre Aktualität (klingt doppelt, ich weiß), vorbei ist, sich die Rankings für das betreffende Thema wieder beruhigen sollten. Man sagt nicht umsonst:
Nichts ist so alt wie die Zeitung (=Nachricht) von gestern!
Nachrichten sind ja wie Wellen. Sie kommen und gehen. Mal sind sie kleiner, mal riesengroß. Aber eins ist sicher: Die nächste kommt bestimmt. Meiner Meinung nach geht das Update etwas zu weit. Teilweise sind auch Suchbegriffe betroffen, die keinen direkten aktuellen Bezug aufweisen – und ganz abgesehen davon: Eine derartige Anhäufung ähnlicher Seiten zum selben Thema halte ich für etwas übertrieben und glaube deshalb, dass Google hier nachbessern wird.
Insgesamt dürfte damit dennoch die Volatilität der Suchergebnisse zunehmen, vor allem, wenn es aktuelle News und / oder ein verändertes Suchvolumen für informationsorientierte Keywords gibt. Für Online-Businessmodelle kann diese steigende Volatilität zu (temporären) Ranking- und Traffic-Verlusten führen.